Biorhythmus und Witterungsphänomene bei Pflanzen

 

 

Ein ungewöhnlich warmes Jahr nähert sich dem Ende. Wärme und Trockenheit haben ihre Spuren hinterlassen, rückblickender Anlass, einmal auf gewisse Lebensmechanismen bei Pflanzen einzugehen.

  

Längere Trockenheit selbst in einer größeren Hitzeperiode signalisiert vielen Arten, eine Ruhephase einzulegen. Später  bindet sie sich bei vielen in den Jahresrhythmus ein. Als Erinnerungsmuster bleibt wie im Winter Unterbrechen der Aktivitäten, also geht es dann im Herbst noch einmal zur Sache:

 

 Forsythien, Erdbeeren, mancher Obstbaum und viele sommerblühende Kräuter und Stauden legen sich im Extremfall ein zweites Blütenkleid zu, sogar noch in den ersten Novembertagen, wie wir kürzlich sehen konnten!

  

Gehen wir erst einmal vom Normalfall aus:

Alle  benötigen im anfänglichen Jahresverlauf ihre artspezifische sogenannte Wärmesumme, die sich aus der Addition der positiven mittleren Tagestemperaturen ableiten lässt. Diese Werte sind aussagekräftig für den Blühbeginn.

 

 

Im zeitigen Frühjahr erscheinende Winterlinge und botanische

Krokusse benötigen offensichtlich geringere Wärmemengen für das Öffnen ihrer

Blüten, andere wesentlich mehr, wie beispielsweise gewisse Bäume, die sich viel

später ein Blütenkleid zulegen. Somit sind selbst in kalten Jahren häufige, auch kurze Wärmephasen entscheidend

für den Entwicklungsbeginn der Vegetation.

 

Vorausgesagt wurde ab Sommer 2018 infolge der Trockenheit eher

schlechtes Wachstum.

Die übergroße Wassersättigung der Böden und das Aufhören der

Niederschläge erst im Mai sorgten gerade dafür, dass sich tiefwurzelnde Gehölze

auf fetteren Böden so richtig wohl fühlen konnten. Kräftiges Grün der Bäume im

oberen Stockwerk und letztlich eine gute Obsternte sprechen für sich. Flachwurzelnde

Gräser und Kräuter in der unteren Etage hatten das Nachsehen, trockneten frühzeitig

ab, sorgten daher für eine bodennah vergilbende Landschaft im Sommer.

 

Im Herbst kehrte sich das Farbenspiel um. Wir erlebten nach

einem intensiven Sonnenjahr eine fantastische

Laubfärbung, einen wunderschön ausgefärbten Goldenen Oktober, der

seinen späten Höhepunkt erst in der 1. Novemberdekade erreichte.

 

 

Bei immer geringer werdender Verdunstung feuchteten zeitweilige Niederschläge die obere Krumme des

teilweise reichlich ausgedörrten Bodens zögerlich an, so dass allenthalben die

Gräser mit ihrem zarten Grün austreiben konnten. Vielerorts entfalten sich

jetzt, sensationell auf Mitte November

zu, die Fruchtkörper des

Wiesenchampignons, sie gedeihen natürlicherweise im Juli oder früher!

Trotzdem war es fast zu erwarten: Besonders 1959, aber auch 1975 und 76 waren ähnliche

Jahre: Nach einem ziemlich trocknen Winter folgte ein sehr trocknes, viel zu

warmes Jahr mit einigen Hitzeperioden schon ab April. Erst im Oktober setzten

verstärkt Niederschläge ein, so dass auf warmem Boden noch viele Kräuter sprossen

und blühten! Und es gab Champignons auf etlichen Wiesen, die noch nicht von

regelmäßig verabreichten Fungiziden erfasst worden waren. Heute ist das wohl

undenkbar! Man findet sie nur noch auf seit eh und je natürlich

bewirtschafteten Flächen, zum Beispiel in

Außendeichbereichen.

 

 

Alle mehrjährigen Pflanzen haben lebenslang ihren eigenen Biorhythmus.

Nach einer hinreichend großen Anzahl von Tagen schließen sie ihre aktive

Tätigkeit im Herbst ab, um sich auf die Winterruhe vorzubereiten. Besonders auffallende

Jahresindikatoren sind viele wärmeliebende Neophyten (pflanzliche Neubürger),

die sich diesmal so richtig wohlgefühlt

haben müssen.

So brachten Feigensträucher ausnahmsweise ihre zweite kleinere Frucht zum Reifen, lassen

etwa am 10.11. plötzlich intensiv ihr

Laub fallen, so wie im Heimatland, bei uns ein vorgezogener Prozess von einem

Monat! Dann aber ist normalerweise der Jahrestrieb

nicht ausgereift. Ist das Holz einer frühen Frostperiode ausgesetzt, so friert

der Strauch oft meterlang zurück oder

erfriert sogar gänzlich. Diesmal wird es spannend, inwieweit schon

reichlich winterresistentes Holz auf ein besonders gut fruchtendes nächstes Jahr schließen

lässt. Das gilt für so manche Obst-Art, die diesjährig einen fulminanten

Gewebeabschluss hinlegen konnte.

 

Auch der Mammutbaum

(Metasequoia) wirft mit gleicher Verfrühung sein nadliges Laubkleid ab. Sonst geschieht es im Verlauf der 1. Dezemberhälfte, bei plötzlich auftretender frostiger Witterung, fast über Nacht. Zum aktiven Jahres-Biorhythmus gehört außer den Wärmesummen offensichtlich auch eine individuell festgesetzte aktive Mindestjahres-Zeitspanne. In den 90er Jahren gab es drei sehr kalte Winter hintereinander. Als einer von ihnen im April schließlich endete, trieben unsere heimischen Stieleichen erst nach der 1. Juniwoche aus, viel zu spät! Sie wiesen wegen ihrer festgelegten aktiven Zeit bis weit in den November hinein kräftig sommergrünes Laub auf, als wollten sie die versäumte Frühlingszeit im Spätherbst nachholen.

Der nächste Winter brach bereits früh in der 2. Novemberdekade

herein, als bei starkem Ostwind Schneefälle mit Dauerfrost um die -5° einsetzten. Die Bäume behielten tief verschneit das angefrorene grüne Laub bis ins nächste Frühjahr hinein. Es ist Stress pur, der sich als Letalfaktor nicht zu oft wiederholen darf.

 

Somit zeigt die Länge einer möglichen Vegetationsphase gewissen Arten ihre Grenzen auf. Allgemein bilden Laubbäume im Herbst zwischen Blattstielgrund und Rinde ein korkiges Abschlussgewebe. Es fallen in dieser Zeit die Blätter meistens nach dem

ersten Nachtfrost. Der intensivere Laubfall kann sich über viele Wochen erstrecken. In diesem Jahr ging es bei endender Wärme und winterlich tiefem Sonnenstand gerade bei Waldbäumen rasch vonstatten, es herrschten sehr gute Bedingungen auf den festeren Böden, auf trocken mageren mag es vielfach wegen mangelnder Wasserkapazitäten anders ausgesehen haben.

 

 Da es europaweit insgesamt die letzten Jahrzehnte wesentlich milder geworden ist, erobern gewisse Pflanzen nördlichere Breitengrade, und es folgen ihre spezifischen Wirte mit dem Aufbau geänderter Nahrungsketten! Zurzeit ist es signifikant. Doch niemand weiß, wann sich ein Umkehrprozess einfindet. Längeren wärmeren Phasen folgen immer wieder kühlere. Einige durchaus mögliche kältere Kontinentalwinter drängen die Pioniere des nördlichen Bereichs rasch wieder mindestens auf ihre ursprüngliche Verbreitung zurück.

 

Es liegt an der Dynamik des Wettergeschehens, der Witterungscharaktere, aus denen sich über 30 Jahre gemittelt, Klimawerte errechnen lassen. Sie wechseln stetig! Aufgrund der dauerhaften Anpassungsbestrebungen der Lebewesen an sich laufend ändernde abiotische Faktoren hat sich letztlich eine ganz besondere Artenvielfalt auf Erden entwickeln können.

 

Aus anthropogenen Gründen schrumpft leider ihr Bestand gegenwärtig dramatisch!

 

Uwe Langrock

15.11.18